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Die Wurst unter philologischer Brille

Wenn es auch Wurst in Deutschland gewiß schon in den ältesten Zeiten gegeben hat, so taucht doch das kräftig klingende deutsche Wort dafür nachweislich erst im 11. und 12. Jahrhundert auf und zwar in Glossensammlungen als Übersetzung der lateinischen Wörter salcicia, farcimen, lucarnica. Gleichzeitig gibt es schon die Zusammensetzung "lebarwurst" und "pratwurst".

Wie wir durch eine freundliche Auskunft der Preußischen Akademie der Wissenschaften, die das Grimmsche Wörterbuch bearbeitet, worin das Wort "Wurst" noch nicht erschien, erfahren konnten, ist die Herkunft des Wortes Wurst nicht völlig geklärt. Zweifellos geht es auf eine indogermanische Wurzel zurück, ist aber auf den Bereich des Hoch- und Niederdeutschen beschränkt.

Es gehört in die große Wortfamilie, die immer die Tätigkeit des Drehens, Rollens, Wendens oder die Ergebnisse dieser Tätigkeit bezeichnet. Dazu zählen auch Wörter wie Wirbel, Wirtel, wirren.

Einleuchtend erscheint auch die Verbindung mit der Wurzel uert, lateinisch vertere = drehen, wenden, sanskrit vrt, gotisch varP, althochdeutsch ward, woraus sich die Bedeutung "Gedrehtes" ergäbe.

In allen romanischen Sprachen geht die allgemeine Bezeichnung für Wurst auf das gleiche Ursprungswort zurück. Französisch: saucisse, um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert übernommen, italienisch: salcissia, spanisch: salchicha, portugiesisch:
chouriça - alle leiten sich her von einem Wort der lateinischen Umgangssprache, dem vulgär-Iateinischen salsicia, das zu dem lateinischen Wort salsicius = eingesalzen gehört; Belegt ist es zum Beispiel in der Verbindung farta salsicia = Salzwürste. Salsicius wird wiederum so erklärt, dass es aus salsus = gesalzen und isicium = Sülze, Wurst zusammengesetzt ist. Aus isicium allein ist das italienische ciccia abzuleiten, das schon 1623 im Wörterbuch der Accademie della Crusca als Lallwort angegeben wird, das die Ammen benützten, um die Kindersprache nachzuahmen. Zitiert ist dort das Kinderverschen: "chi chiede bombo, chi pappa, e chi ciccia." - Das eine hat Durst, das andere will Brei, das dritte Wurst. Und als Rat und Lebensart hören wir ebenda von Firenzuola in der Mitte des 16. Jahrhunderts: "E un dare a miccin la ciccia a' putti, accioch' ella non faccia poi lor male." - Man muss den Kindern die Wurst stückweise geben, damit sie ihnen nachher nicht schlecht bekomme.

Die "große Wurst" heißt in Frankreich saucisson, was nicht unmittelbar von saucisse abzuleiten wäre, sondern von dem italienischen salsiccione. Denn die französische Nachsilbe -on hat die Bedeutung der Verkleinerung. während die italienische Nachsilbe -one, im Gegensatz dazu, die Vergrößerung bezeichnet.

Das lateinische Wort für Hirn, cerebellum, liegt dem italienischen cervellata und dem schon im Altfranzösischen vorkommende cervelat zu Grunde, das dann ins Deutsche als Zervelatwurst überging. Die rumänische Wurst, carnât entstand aus dem lateinischen carnacius (= "aus Fleisch").

Die Mortadella leitet sich aus farcimen murtatum her, weil diese Wurst, die man heute mit Fenchel würzt (woher sie auch finocchina genannt wird) ehedem mit Myrtenkörnern versehen war. Man erzählt, Bologneser Studenten hätten sie erfunden. Die italienische Bratwurst, rocchio, kommt vom lateinischen rotulus, der Rolle; auch die italienische Blutwurst, sambudello, ist lateinischen Ursprungs: zusammengesetzt aus sanguis = Blut und botellus = Darm, von dem vielleicht auch das französische boudin für wurst überhaupt stammt, auf dem Weg über die galloromanische, doppelt verkleinernde Form botellinus. Der Name einer in Nordspanien besonders beliebten Wurst der roten longaniza, die mit viel Speck zubereitet und scharf mit Knoblauch gewürzt wird, weist auf das lateinische longus hin. Nach einer falschen Etymologie des 17. Jahrhunderts soll die longaniza von lucanica herkommen, weil sie in Lucania erfunden sei.

Dagegen ist die spanische Blutwurst (morcilla) wahrscheinlich, was ihren Namen betrifft, baskischer Herkunft. Sie war schon, wie auch die longaniza, bereits im 16. Jahrhundert bei den Peruanern bekannt, denn in den Commentarios reales (Lissabon 1608) des Inca Garcilaso de la Vega, eines spanische schreibenden Indianers, der 1540 in Cuzo geboren wurde, lesen wir im 1. Buch, 1. Teil, Kap. 13: "De las tripas hacian morcillas y longanizas, hinchendolas de carne por no perderlas." - Aus Gedärmen machten sie morcillas und longanizas, in dem sie sie mit Fleisch füllten, um sie zu konservieren.

Die slavischen Bezeichnungen für Wurst sind nach Berneckers Etymologischem Wörterbuch (Heidelberg 1908-1913) wahrscheinlich zu den verschiedensten Zeiten aus dem hebräischen kol-basar ("allerlei Fleisch") entstanden. Man will es daraus erklären, dass in alten Zeiten in slavischen Ländern das Metzgergewerbe oft ausschließlich in jüdischen Händen lag. Russisch heißt die Wurst kolbasa, polnisch kielbasa, tschechisch klobasa. Die serbo-kroatische Bezeichnung für Wurst ist kobasica (sprich: kobásitza), die slowenische klobasa. Würstchen werden in verschiedenen Gegenden Südslaviens auch virštle (sprich: wirschtle) genannt, was natürlich aus dem Deutschen kommt. Ebenso wird die Bezeichnung hrenovke gebraucht für nichts anderes als die "Krenwürstel", die ja besonders in Böhmen und Mähren zuhause sind. Man nennt aber auch solche Würstchen hrenovke, die gar nicht mit Kren gegessen werden, einfach weil ein eigenes Wort dafür fehlt.

Für uns aber ist die slavische Benennung deshalb von einer gewissen Bedeutung, weil sie auch ins Deutsche eingedrungen ist. In Schlesien, wohl aus Oberschlesien gekommen, ist eine beliebte Wurst die sogenannte Kiolbasse, eine Wurst aus rohem Schinken, sehr kräftig, die man roh und gekocht essen kann. Name und Herstellungsweise (mit viel Knoblauch) stammen gewiss aus Polen , das überhaupt im deutschen Osten die "Polnische" populär gemacht hat, eine Art Knackwurst, die, z. B. in Dresden, reichlich Rindfleisch enthält.

Anekdoten aus der Welt der Wurst